Tiergenetische Ressourcen

Insgesamt sind vom Menschen etwa 35 verschiedene Wildtierarten domestiziert worden, wobei die wichtigsten wohl Rind, Schaf, Ziege, Schwein, Huhn und Pferd sein dürften. Jede Spezies wiederum teilt sich auf in eine Vielzahl von verschiedenen Rassen. Die genetische Diversität einer Haustierart ist zwischen und innerhalb von Rassen zu finden. Das Aussterben von Rassen führt zu einem Verlust an „zwischen-Rassen“- Diversität. Bedingt unter anderem durch Inzucht und genetischen Drift kommt es auch zu einem Verlust an genetischer Vielfalt innerhalb einer Rasse, was letztendlich auch zum Aussterben der Rasse führen kann.

Genetische Diversität und Tiergenetische Ressourcen sind ein einmaliges und unersetzbares Erbe unserer Vorfahren und dieses kulturelle Erbe muss für zukünftige Generationen geschützt und erhalten werden. Auf der einen Seite ist die genetische Diversität eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Anpassung von landwirtschaftlichen Nutztierpopulationen an heute nicht vorhersagbare, zukünftige Produktions- und Umweltbedingungen. Von diesem Standpunkt aus gesehen, liegt der Fokus nicht auf der in einer einzelnen Rasse zu findenden Diversität, sondern auf der genetischen Vielfalt, die innerhalb einer domestizierten Spezies zu finden ist. Auf der anderen Seite ist die genetische Diversität innerhalb einer Rasse wichtig für eine nachhaltige Entwicklung ländlicher Räume. Hier leistet jede lokale Rasse einen Beitrag zur ländlichen und kulturellen Entwicklung und ist somit ein schützenswertes Kulturgut.

Insgesamt ist eine alarmierende Abnahme an tiergenetischen Ressourcen zu beobachten. So sind innerhalb der letzten 100 Jahre 16 % aller Nutztierrassen ausgestorben und über 20 % der verbleibenden Populationen sind vom Aussterben bedroht.

Ziele und Hintergründe

Alte Nutztierrassen sind in ihrer Biodiversität europa- und weltweit gefährdet. Nach der FAO (UN)-“World Watch List” von 2000 für “Domestic Animal Diversity” sind 20% aller noch lebenden Nutztierrassen als bedroht oder gefährdet eingestuft. Mit dem Verlust ihrer Vielfalt verschwinden auch wichtige Tiergenetische Ressourcen. Um dem Verlust der Biodiversität alter Nutztierrassen entgegen zu wirken, ist es dringend notwendig, solche Rassen verstärkt für innovative, nachhaltige Nutzungen, einschließlich der Landschaftspflege, einzusetzen und deren genetische Vielfalt für die Zukunft der Tierproduktion zu sichern. Dies ist nur möglich, wenn entsprechende Zuchtprogramme, der jeweiligen Rassen entsprechend, koordiniert werden [siehe auch Strategiepapier des BMELV (2009): Agrobiodiversität erhalten, Potenziale der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft erschließen und nachhaltig nutzen].

Die EU hat die Bedeutung der genetischen Ressourcen erkannt und eine Fokusgruppe „Genetische Ressourcen“ eingerichtet, die auch die Förderung lokal angepasster Rassen sowie deren Nutzer (Züchter/Landwirte) vorschlägt, um neue Methoden für die Förderung der Zusammenarbeit im Bereich der genetischen Ressourcen zu erhalten. Damit steht die geplante Operationelle Gruppe (OpG) „Tiergenetische Ressourcen“ im Einklang mit den Prioritäten der EU für die Entwicklung des ländlichen Raumes.

Die Arche Warder in Schleswig-Holstein ist Europas größtes Zentrum für seltene und vom Aussterben bedrohte Nutztierrassen. Mit einem klaren, wissenschaftlichen Konzept nimmt die Arche Warder eine wichtige Funktion bei der Erhaltung von seltenen Nutztierrassen ein.

Um auch weiterhin den genannten vielfältigen Anforderungen zu entsprechen, ist es das Ziel der OpG „Tiergenetische Ressourcen“ im Rahmen der Europäischen Innovationspartnerschaft, direkt in die Praxis umsetzbare Konzepte für eine Sicherung der tiergenetischen Ressourcen am Modell ausgewählter Rassen zu erarbeiten.

Strategien zur Erhaltung tiergenetischer Ressourcen

In Anlehnung an die Empfehlungen der FAO (2006) können drei verschiedene Strategien zur Erhaltung oder Konservierung von tiergenetischen Ressourcen angewendet werden.

  1. Bei der Strategie der „In situ“-Konservierung von tiergenetischen Ressourcen wird die genetische Diversität erhalten, indem die gefährdete Rasse weiterhin von Landwirten, unter den Bedingungen gehalten wird, in denen sich die Rasse entwickelt hat, oder wo sie aktuell am häufigsten anzutreffen ist. Diese Form der Erhaltung von tiergenetischen Ressourcen sollte angestrebt werden, weil so eine Weiterentwicklung der Rasse hinsichtlich der Anpassung an sich ändernde Produktionsbedingungen möglich ist. Hierbei handelt es sich aber trotzdem noch um kleine oder kleinste Populationen und deshalb muss in solchen Populationen besonders das Risiko der Inzucht und des genetischen Drifts beachtet werden.
  2. Wird eine Rasse oder Population nicht mehr unter üblichen landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen oder in der Region in der sie ursprünglich erzüchtet wurde gehalten, wird dies als „Ex situ in vivo“-Konservierung bezeichnet. Aus kulturell historischen Gründen werden bei dieser Strategie einige Tiere der Rasse in zoologischen Einrichtungen gehalten. Einerseits sind bei dieser Strategie die Kosten der Konservierung überschaubar, aber es ist zu beachten, dass die Rasse nicht unter Produktionsbedingungen gehalten wird und deshalb eine Adaption der Rasse an sich ändernde Produktionsbedingungen nicht möglich ist.
  3. Die „Ex situ cryo“-Konservierung, als letzte Chance einer bedrohten Rasse, ist definiert als die Einlagerung von genetischem Material, zum Beispiel Embryonen oder Sperma, in flüssigem Stickstoff.

In der Praxis sind die Übergänge zwischen „In situ“ und „ Ex situ in vivo“ Konservierungsstrategien fließend. Hier ist nur eine klare Unterteilung in „In vivo“-Konservierung von genetischer Diversität, das heißt eine Kombination von „In situ“ und „Ex situ in vivo“, und „In vitro“-Konservierung möglich. Unter dem Begriff „In vitro“ werden alle „Ex situ“ Strategien zusammengefasst.

Ökologische Bedeutung tiergenetischer Ressourcen

Für die Biotoppflege geschützter Biotope und FFH (Flora-Fauna-Habitat)-Gebiete eignen sich Tiergenetische Ressourcen in extensiver Beweidung besonders gut. Sie tragen zur Offenhaltung der Trockenlebensräume bei, da sie auch Gehölze als Nahrung nutzen und so der Verbuschung entgegenwirken. Auch eingewanderte Gehölze wie Späte Traubenkirsche (Neophyt) werden so zurückgedrängt. Durch extensive, landwirtschaftliche Nutzung entsteht so eine offene und vielfältige Kulturlandschaft. Auf Wiesen und Weiden wird durch Beweidung eine große Artenvielfalt gefördert. Halboffene Weidelandschaften bieten einen Lebensraum für Schmetterlinge, Vögel, Käfer und viele andere Arten.

Tiergenetische Ressourcen im ökologischen Landbau

Im Ökologischen Landbau ist ein geschlossener Betriebskreislauf zwischen Boden, Pflanze und Tier wichtig. Der Einsatz von Rassen, die z.B. mehr Raufutteranteil verwerten können und weniger Kraftfutter benötigen, bzw. extensiv und in Freiland gehalten werden können, ist in diesem Zusammenhang wichtig. Ganzjährige Freilandhaltung erfordert eine Vielfalt von Robustrassen.

Die EU-Verordnung zum Ökologischen Landbau schreibt zudem vor, dass bei der Wahl der Rassen oder Zuchtlinien die Anpassungsfähigkeit der Tiere an die Umwelt Rechnung zu tragen sei. Auf in der Intensivhaltung verwendete Rassen und Linien mit typischen Krankheiten oder Gesundheitsproblemen (z.B. Stressanfälligkeit) muss, laut dieser Vorordnung, verzichtet werden. Einheimischen Rassen und Linien bzw. Rassen, die regional angepasst sind, sei der Vorzug zu geben.

Tierschutzrechtliche Bedeutung von tiergenetischen Ressourcen

Tiergenetische Ressourcen sind Tiere, die nach Zuchtzielen entstanden, die unter anderem auch auf lange Lebensleistung und Robustheit zielten. Diese Tiere sind vermutlich weniger anfällig für Krankheiten und Stress. Im Gegensatz dazu wurden die heutigen Hochleistungsrassen oft einseitig auf hohe Milchleistung, Mastleistung oder andere Leistungsmerkmale gezüchtet – den gesundheitlichen Problemen, die damit einhergingen, gilt es, auch unter tierschutzrechtlichen Gesichtspunkten, durch Zucht entgegenzuwirken. Mit den Tiergenetischen Ressourcen gibt es das Potenzial zu vitaleren Tieren, die zum Beispiel aus Kreuzungstieren entstehen können, d.h. durch die Einkreuzung immunologisch robuster ausgestatteter, tiergenetischer Ressourcen könnte somit z.B. den Antibiotikaverbrauch und die Gabe andere Medikamente auf ein Minimum reduzieren.

Eine Doktorarbeit („Vergleich der Immunkompetenz, Mastleistung und Fleischqualität der Rassen Turopolje (TxT), Hybridschweine (LxP) (Deutsche Landrasse x Pietrain) und der Kreuzungsrasse Deutsche Landrasse x Turopolje (LxT)“, an der Tierärztlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München von Ines Carolina Ballweg) konnte deutlich machen, dass die alte Rasse (Turopolje) und die Kreuzungstiere immunologisch differieren im Vergleich zu modernen Hybridschweinen. TxT reagierte gegenüber der Exposition mit einem Schweinevirus widerstandsfähiger als die beiden anderen Rassen. TxT scheint das Virus mit Hilfe eines anderen Mechanismus zu eliminieren: durch Aktivierung der T-Zellen und nicht wie die LxT und LxP mit Hochregulation der B-Zellen.

Die Erhaltung alter Nutztierrassen ist zudem als Beitrag zum Tierschutz zu verstehen, da die Haltung dieser robusten Rassen in Freiland- oder Semifreilandhaltung grundsätzlich möglich ist und damit artgerechter und tiergerechter ist.